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21.11.2024 : 11:20 : +0100

Die Kämpfe an den Hochgebirgsfronten

Noch 1914 schien es ausgeschlossen, dass der Ortler (3.902 m) und die ihn umgebenden Gipfel zum Kampfgebiet werden würden. Im Mai 1915 war jedoch ein italienischer Vorstoß über das Stilfserjoch (2.757 m) zu befürchten gewesen. Die Hochgebirgspässe und -gipfel von der Dreisprachen- zur Zufallsspitze wurden schnell mit Standschützen der Kompanien Stilfs, Trafoier-, Sulden- und Martelltal besetzt . Im Angesicht der drohenden Gefahr sprengten die Österreicher voreilig Straßen und Gebäude. Diese Verschlechterung der Unterkunftsmöglichkeiten sollte sich im weiteren Verlauf des Krieges noch rächen. Der Rayon I umfasste nämlich die höchsten Stellungen des Ersten Weltkrieges und allein der Aufenthalt in diesen Höhen zu allen Jahreszeiten, bei Wind und Wetter, in Schnee und Eis, stellte ungeheure physische und psychische Anforderungen an die Männer. Umso bemerkenswerter sind deren Leistungen, beispielsweise die Tatsache, dass K.u.k. Truppen zwei 10,5 cm Geschütze auf den Ortler Vorgipfel (3.860 m) brachten, die ab 27. Juli 1916 eingesetzt wurden . Trotz eines erbitterten Ringens um einzelne Gipfel blieb es bis Anfang November 1918 in diesem Frontabschnitt beim Stellungskrieg.

Auch im südlich des Ortlers gelegenen Rayon III, der von der Adamello Gruppe über den Gardasee bis zur Valsugana reichte kam es zu Kämpfen. Ein Einbruch der Italiener an dieser Stelle in das Etschtal hätte das Ende der Tiroler Front bedeutet. Die österreichischen Eckpunkte waren hier die Zugna Torta und der Pasubio, der von Kaiserjäger aller vier Regimenter verteidigt wurde und als `Kaiserjägerhölle´ traurige Berühmtheit erlangte. Auch auf italienischer Seite erhielt der Pasubio, der als Grenzstein zwischen Nord und Süd, zwischen Alpengipfeln und Ebene angesehen wurde, einen treffenden Namen: Calvario della Patria (Kalvarienberg des Vaterlandes). Es handelt sich hier zwar nicht um die höchsten Berge der Alpen aber es steht zu beachten, dass Rovereto –der Hauptort für diesen Frontabschnitt- nur auf 192 m ü.d.M. liegt. Im Aufstieg zum Monte Zugna sind 1.672 m, zum Pasubio 2.040 m Höhenunterschied zu bewältigen. Hinzu kommt die Struktur des Kampfgeländes. Mit seinen schwierigen Oberflächenformationen (Schluchten, Schründe, Karstflächen, scharfe Grate) stand es dem Gelände des Ortler-Tonale Abschnitts in nichts nach .

Einer der außergewöhnlichsten Schauplätze der Kriegsgeschichte war hingegen der Marmolata Gletscher in den Fassaner Alpen (Rayon IV). Die heutige Vorstellung vom `Krieg in Fels und Eis´ ist geprägt von den Quellen, die uns das Kriegstreiben im Inneren des Gletschers also in Spalten, Schründen und Eis-Schluchten vor Augen führen. Getrieben von der ständigen Angst vor Lawinen und feindlichem Feuer entwarf der Kaiserjäger Oberleutnant Dipl.-Ing. Leo Handl einen Plan, wie das Gletscherinnere als dauernde Befestigung in die Kämpfe miteinbezogen werden könnte. Unter seiner Leitung entstand eine `Eis-Stadt´, mit Kampf-, Versorgungs- und Unterkunftsstollen, die bis zu 40 m unter der Gletscheroberfläche lagen. Der Höhenunterschied zwischen unterem und oberem Gletschertor betrug über 1.000 m. So waren die meisten Soldaten und Trägerkolonnen vor feindlichem Artilleriefeuer geschützt. Und gerade das Durchkommen der Träger bis in die vordersten Stellungen war überlebenswichtig. Auf dem Marmolata Gletscher waren etwa 700 Mann stationiert, die täglich zwei Tonne Verpflegung und Brennmaterial benötigten. Hinzu kamen noch Munition, Werkzeuge, Bauholz und Beleuchtungsmittel für Kaverne und Gletscherstollen. Die logistische Leistung ist zu erahnen, wenn man davon ausgeht, dass ein Träger je 25-30 kg in oft mehrstündigen, erschöpfenden Märschen in die Stellungen bringen konnte . Doch trotz aller Vorsichtsmaßnahmen forderten die Lawinen immer wieder ihren Tribut, vor allem in den tieferen Lagen unterhalb der Gletscher. Die größte Einzelkatastrophe ereignete sich im Dezember 1916, als eine Lawine die Nachschubposition Gran Poz verschüttete. Etwa 300 Mann wurden von 200.000 Tonnen Schnee begraben. Einige der Toten konnten erst im Juli 1917 im Tal geborgen werden .
Dieses Beispiel zeigt, wie gefährlich das Leben in den Bergen war. Naturgewalten wie Lawinen, Blitzschläge  und Kälteeinbrüche aber auch Unfälle forderten mindestens ebenso viele Todesopfer wie die Kampfhandlungen. Schätzungen gehen sogar soweit, dass ? der Toten auf die Hochgebirgsnatur zurückzuführen sind. Der Initiator des gleichnamigen Gebirgskriegsarchivs Heinz von Lichem geht davon aus, dass mindestens 60.000 Soldaten (auf beiden Seiten) durch Lawinen umkamen .

Fronstellung in den Dolomiten

Weiter nordöstlich der Marmolata, angrenzend an die Karnischen Alpen, befanden sich einige der am heißesten umkämpften Berge wie der Col di Lana, Fanes, Tofana, Drei Zinnen und die Sextener Dolomiten. Am Col di Lana, den die Italiener Col di Sangue, Berg des Blutes nennen ließen 6.000 Italiener und 2.000 Österreicher ihr Leben. Hinzu kommen noch unzählige Verwundete, die erst später verstarben und Lawinenopfer. Der italienische Generalstab erhoffte sich an diesem Abschnitt einen Durchbruch westlich ins Abteital bzw. nach Norden gegen Valparola-Falzarego-Tofanen. Dies hätte einen Zusammenbruch der zentralen Dolomitenfront bedeutet und den Weg frei gemacht ins Pustertal vorzustoßen, in die Lebensader Tirols. Die Italiener schätzten den Col di Lana als tiefsten Punkt zwischen Tofanen und Marmolata ein und hofften dessen sanften Almberg leicht überrennen zu können. Die Kaiserjäger aber hielten, unterstützt vom Deutschen Alpenkorps, den Berg. So wurde der Col di Lana zum Symbol einer besonderen Perfidie des Alpenkrieges: des Minenkrieges . Gegen die Felsmassen und gegen die in sie hineingetriebenen Kaverne versagte jedes Kampfmittel. Die einzige Möglichkeit bestand darin, sich unterirdisch vorzuarbeiten. Unter Zuhilfenahme gewaltiger Mengen Explosivstoffe wurde schließlich der gesamte Berggipfel in die Luft gesprengt . Bei der Col di Lana Sprengung vom 17. April 1916 kamen so 245 Soldaten der K.u.k. Armee ums Leben. Den Gipfelbesatzungen blieben die Aktionen des Gegners nur selten verborgen und die einzig wirksame Gegenmaßnahme war, dem bohrenden Gegner Stollen entgegenzutreiben. Durch deren Sprengung konnte man ihm evtl. den Weg versperren. Es war eine unglaubliche psychische Belastung zu wissen, dass man auf einem Pulverfass sitzt. Einen eindrucksvollen Bericht bietet uns der Kommandant des Col di Lana, Kaiserjägerhauptmann Anton von Tschurtschenthaler:

„(...) für uns blieb es Ehrensache ihn zu halten ... obwohl man sich Tage vorher genau bewusst war, dass unsere Gräben vom Feind unterminiert waren und eine Sprengung stündlich zu erwarten sei. Das Artilleriefeuer verstummte! Die Hoffnung auf Hilfe war geschwunden – nun hieß es, sich auf das Ernsteste gefasst zu machen. Die nun folgenden Momente sind die schwersten, die ein Mensch durchmachen kann.“ 

Östlich des Col di Lana, in den Sextener Dolomiten versuchten die Italiener schon im ersten Kriegsjahr gegen das Pustertal durchzubrechen. Dass ihnen dies in den ersten Kriegsmonaten nicht gelang war ein Verdienst der Tiroler Standschützen und des Alpenkorps. An den tieferen Stellen verhinderten Festungssperren den Durchbruch. Eines in der Literatur am häufigsten genannten Ereignisse an dieser Front ist der Tod des bekannten Bergführers Sepp Innerkofler. Der damals 50 Jährige wurde zum Sinnbild für die Art, wie um die Felsspitzen gekämpft wurde. Der Paternkofel (2.746 m) der von den Italienern besetzt war beherrschte das Kampfgeschehen rund um die Drei Zinnen Hochfläche. Sepp Innerkofler sollte daher mit drei Kameraden den Gipfel stürmen. Einer der Drei, der Standschütze Josef Taibon schildert die Ereignisse nach Erklimmen der Steilwand:

„(...) hörte ich links von mir kein Schießen mehr, schaute hinüber und konnte Innerkofler nicht mehr erblicken, suchte blickend weiter und sah rückwärts zu meinen Füßen ganz am Abgrunde rotgefärbte Steine. Ich wusste genug und deutete dies meinem Nachbarn, Kameraden Rapp.“

Innerkofler war von einem Stein oder Geschoss getroffen 50 Meter tief in einen Felskamin gestürzt. Die bergsteigerisch und militärisch äußerst schwierige Angriffsunternehmung war misslungen. Die Alpini erwiesen dem Feind –wie so oft- größten Respekt, bargen unter Lebensgefahr den Leichnam und bestatteten ihn auf dem Gipfel. Ein an anderen Fronten nur schwer vorstellbarer Vorgang. An diesem Beispiel wird die Strategie klar, die im Hochgebirge –vom Ortler bis zu den Dolomiten- von beiden Seiten verfolgt wurde. Mit regelmäßigen Patrouillen über die Gipfel und Grate sollten diese kontrolliert werden. Österreichern wie Italienern fehlten aber genügend trainierte Hochalpinisten, die dieses äußerst exponierte Klettergelände auf breiter Front halten konnten. Man versuchte daher mit kühnen Unternehmungen dem Gegner zuvorzukommen und Positionen dauerhaft zu besetzen. Es hat sich gezeigt, dass derjenige, der zuerst die Gipfel besetzte, auf die Dauer gesehen erfolgreicher war. Und so verwandelte sich auch hier der Kleinkrieg mit blitzschnellen Patrouillen zu einem Stellungskrieg mit massivem Maschinengewehr-, Artillerie- und Giftgaseinsatz.